Unsichtbarkeiten
Panorama des Verschwindens

Die Welt steht Kopf. Ist unsere vermeintlich „heile Welt“ gerade mehr und mehr im Begriff sich aufzulösen? Gesellschaftliche und finanzielle Machtinteressen verdrängen funktionierende Mechanismen der Natur. Pflanzen, Vögel und Insekten sterben aus, ihre natürlichen Lebensräume verschwinden, Heimaten und Traditionen scheinen immer weiter zu zerfallen. Doch wann ist etwas wirklich nicht mehr vorhanden und wann ist es einfach nur in eine andere Form übergegangen?
Die Gruppe OTTTO beschäftigt sich mit dem Zersetzen von Ordnungen sowie mit den unterschiedlichsten Dingen, die sich im Laufe der Zeit verändern, unsichtbar werden und verschwinden. Dazu gehören auch eigene und allgemeine Erfahrungen des Vergessens und das Verblassen von Erinnerungen. In der künstlerischen Auseinandersetzung mit diesen Themen widmen sich die drei Künstler*innen dem Verlauf und ästhetischen Reiz des Verblassens, des Unscharf-Werdens, des Schemenhaft- und Abstrakt-Werdens. Bilder von Personen verschwimmen, Begebenheiten zerlegen sich in Bruchstücke und die Geschichte liest sich heute ganz anders als noch vor Jahren.


Ka Bomhardt

In meinen Installationen, Objekten und Bildern geht es in dieser Ausstellung im Wesentlichen um ein Zerfallen von bisher Gekanntem, das wir als Ordnung, als Privatsphäre und gesellschaftlich Feststehendes ansehen. Als Tradition, Konvention und Benimm, als Schönes und Verlässliches. Hier wird aus dem Verlässlichen das Verlassene, das Aufgegebene, sich Auflösende. Zurückgelassen und durcheinander gebracht, das Falsche bewahrend, schleichen sich Umzugs- und Fluchtgedanken ein. Die Umbrüche in der Weltenordnung , das Liegengelassene, das Gewesene zeigt sich hier in Fragmenten; ein halber Schrank, ein durchlöcherter Lampenschirm, Mottenbilder, leere Hauben und Statuenständer, schräge Bahnen, Reste des Privaten, archivierte Insekten anstatt lebendiger Natur. Eine in eine unendliche Dimension führende Mustertapete, zarte Naturzeichnungen und Filme vom Überfluss in unserer Gesellschaft führen uns in fast ironische, traurige und humorvolle Inszenierungen. Die Wand verschwindet in der Wand, unter der Glashaube liegt Staub, ….und es gibt Tee !

„Woher, Wohin“, Video von Ka Bomhardt


Angela Lubic

Die Installation Panorama des Verschwindens besteht aus 10 Sperrholzplatten, die zusammenhängend ein aus Nägel und Fäden gespanntes 12 Meter langes und 4 Meter hohes Bergpanorama zeigen. „Anfang mit vielen Strichen, Verdichtungen, die schattigen Täler oder baumbestandene Hänge assoziieren lassen. Dann aber lassen die Fadenverbindungen nach, als würde der Weg schwer, schlaff hängen sie von den Nägeln herab, und die Landschaft verliert ihre Konturen“*. Die Panoramaplatten stehen an der Wand angelehnt und rutschen immer mehr in den Raum hinein bis zu den letzten absolut weissen Platten, die auf den Boden gerutscht sind.

Auflösen, Animation, 2:18 min
„Erinnern. Jeder Buchstabe schreibt sich ruckweise vor den Augen der Betrachter. Ein Faden häkelt sich für die Linie um Nägel, vor, zurück, wieder vor. Langsam entsteht so das Erkennen des Wortes, noch bevor es ganz fertig ist, und langsam löst es sich auch wieder auf, wenn der Faden zurückspult. Das ist eine sinnliche Analogie zur Arbeit des Gedächtnisses, das manchmal Bilder in den Vordergrund spielt, die erst detailreich scheinen, aber je mehr man sich müht, Einzelheiten zu fassen zu bekommen, desto schneller entziehen sie sich wieder.“* aus Taz vom 11.5.2020 von Katrin Bettina Müller
Die Worte ERINNERN, VERSCHWIMMEN, VERDRÄNGEN, GLAUBEN, VERBLASSEN, VERGESSEN, ENTSCHWINDEN, AUFLÖSEN stehen für Gedächtnisverlust und das Verblassen von Erinnerungen.

Sekunden eines Tages
Eine 4 Meter lange Papierbahn mit 86400 ausgestanzten Löchern hängt von der Decke, welche die Sekunden eines Tages sichtbar machen.

„Auflösen“, Animation von Angela Lubic, 2:18 min


Oliver Oefelein

Gerüste.Situationen; Installation, die das Thema “Verblassen von Erinnerungen“ verhandelte, mit Filmloops: „Jürgen“, „Rainer“ ,“Sascha“ und „Angela“. Je gegenwärtiger die Erinnerung, desto schärfer und bunter der Film; je weiter die Erinnerung zurück lag, desto verblasster, verschwommener, oder – durch Mehrfach-Projektion und erneutem Abfilmen –  verfremdeter, waren die filmischen Erinnerungsfetzen. Bei den Protagonisten in den Filmloops handelt es sich um reale Weggefährten, von denen ich Filmmaterial z.T. aus anderen Kunstprojekten besaß, oder für das Projekt erneut aufsuchte; darunter ein ehemalige Nachbar („Jürgen“), ein Freund („Sascha“) der wegzog und so „verloren“ ging und mein verstorbener Vater („Rainer“). Angela stellte mir einen Film aus Ihrer Kindheit, sowie einen an gleichem Ort an der Elbe als Erwachsene nachgestellten Film zur Verfügung.

Bernstein, 2014-2022; eingeschlossene Endoskelette vermeintlich ausgestorbener prähistorischer Insekten. Das kommt einer paläontologischen Sensation nahe, da die uns bekannten Insektenarten ausschließlich über Exoskelette verfügen. Das Endoskelett ist dagegen – nach bisheriger Annahme –  gemeinsames Merkmal der Wirbeltiere (Vertebrata). Ausgelöst durch einen Arbeitsstipendium am Baltischen Meer in Litauen, wo ein reger Handel von Bernstein und Bernsteinschmuck existiert, entstand das Interesse an eingegossenen paläontologischen Fundstücken. Für die Ausstellung entstand als Gemeinschaftsarbeit eine Vitrine in der neben diesen Funden eine Insektensammlung von Ka Bomhardt präsentiert wurde.

Implantierte Erinnerung; Tesafilm-Installation, Schatten und gemalter Lichtsaum (auf Wandfläche), die ein Gitterbett aus Kinderperspektive entsprechend vergrößert nachzeichnen. Ein Geschehen aus Kleinkindzeit hält schemenhaft durch fortwährendes Erzählen Einzug ins eigene Gedächtnis. 


Presseartikel Tagesspiegel vom 2.6.2020

Presseartikel taz vom 11.5.2020

Presseartikel Berliner Zeitung vom 4.3.2020